Fragen und Antworten


Die Sonnenschwester ( Band sechs der Serie)
 

1. Elektra ist ganz anders als ihre Schwestern und in den vorherigen Bänden der Reihe kaum in Erscheinung getreten. Ist es Ihnen schwergefallen, ihre Stimme zu finden?
Am Ende von Tiggys Geschichte wusste ich, dass sie erst wirklich zum Abschluss gebracht wäre, wenn das erste Kapitel von Elektras Geschichte geschrieben war. Das machte mich nervös, denn anders als Tiggy und ich haben Elektra und ich nur wenige Gemeinsamkeiten. Also wartete ich mit Elektra, bis ich Die Perlenschwester fertig überarbeitet hatte. Als dann der Abgabetermin für das Manuskript nahte, holte ich tief Luft und setzte mich daran. Zum Glück hörte ich ihre Stimme sofort. Ihre Persönlichkeit ist wohl die stärkste und am klarsten definierte von allen Schwestern. Anfangs hatte ich Sorge, dass ich sie nicht mögen könnte, doch hinter ihrem Zorn entdeckte ich ihre erstaunliche Verletzlichkeit, und am Ende bewunderte und liebte ich ihren Mut und ihre Kraft.

2. In welcher Hinsicht ähnelt Elektra ihrem Vorbild aus der Mythologie?
Wie ihre Namensvetterin besitzt sie immense Energie. Ihre Persönlichkeit entspricht ihrem Namen, elektra, der ursprünglich für Bernstein und Elektrizität steht, von der man früher glaubte, sie sei die Kraft der Sonne, eingeschlossen in Stein. So lässt sich ihr Wesen beschreiben: als wilde, aber »gefangene« Energie. Diese Energie kann ebenso lebensspendend wie selbstzerstörerisch sein. Und in Elektras Geschichte geht es genau darum, dass sie diese selbstzerstörerische Seite überwindet.

DieSonnenschwester_Kenia

3. Wussten Sie von Anfang an, dass Elektras Geschichte zum Teil in Kenia spielen würde? Und wie sind Sie dort an die Recherchen herangegangen?
Afrika wollte ich schon immer erkunden, und auf Kenia kam ich durch den fantastischen Film Die letzten Tage in Kenya mit Greta Scacchi, John Hurt und Charles Dance. Die Dekadenz des sogenannten Happy-Valley-Set, der wohlhabenden weißen Siedler, die das Land als ihren Spielplatz wählten, faszinierte mich. Außerdem interessierten mich die komplexen Beziehungen zwischen den zahlreichen Gruppen, die dort neben- und miteinander lebten: die weißen Siedler, die Massai, die Kikuyu, die Somalier und die Inder.
Eine besondere Herausforderung stellten die Recherchen zu den Massai dar, deren Kultur ich nicht aus »touristischer« Sicht darstellen wollte. Also suchte ich die School of African and Oriental Studies in London auf, wo ich Berichte fand, die von Massai-Gelehrten, nicht von weißen Kolonialisten verfasst waren.
Anschließend fuhr ich selbst nach Kenia, wo ich in Gesprächen mit der örtlichen Bevölkerung deren Liebe und Hochachtung für ihr Land sowie ihre innige Beziehung dazu zu begreifen begann. Mich interessierte das Verhältnis der Massai zu einzelnen weißen Siedlern wie zum Beispiel Lord Delamere Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, der oft Häuptlinge von Massai-Clans einlud, mit ihm den Klängen seines Grammofons zu lauschen, oder Gilbert Colville, der seine guten Beziehungen zu den Massai nutzte, um der reichste Rinderfarmer von Kenia zu werden. Er ist das Vorbild für meine Figur Bill Forsythe.

4. Welche Nachforschungen haben Sie zur Kolonialzeit in Kenia angestellt, und wie haben Sie Ihre Erkenntnisse in die Geschichte eingearbeitet?
Vor meiner Reise nach Kenia habe ich die Biografien vieler Schlüsselfiguren des Happy-Valley-Set gelesen, so zum Beispiel die von Idina Sackville und Alice de Janzé. Besonders faszinierte mich die temperamentvolle Kiki Preston. Da nicht allzu viel über »Die Frau mit der silbernen Nadel« geschrieben worden war, musste ich mir Einzelinformationen über sie aus zahlreichen Büchern zusammensuchen.
Als ich mich in Kenia mit Leuten über die Kolonialgeschichte des Landes unterhielt, fiel mir auf, wie unterschiedlich die Berichte waren – Geschichte ist nun einmal subjektiv und oft widersprüchlich. Das machte mir das Schreiben schwer, weil ich nie sicher sein konnte, welche Schilderungen zutrafen, andererseits gab es mir aber auch die Freiheit, meine Fantasie als Romanautorin spielen zu lassen. Mein Besuch im Muthaiga Club gehörte zu den Höhepunkten meiner Reise. Es war einfach wunderbar, mit eigenen Augen zu sehen, wo all diese starken Persönlichkeiten getanzt, Feste gefeiert, geliebt und sich gestritten hatten.
 

5. In der Sonnenschwester werden Elektras Reise zu sich selbst und ihr Entzug ausführlich geschildert. Basiert die Beschreibung der »Ranch« auf einer real existierenden Suchtklinik?
Mir lag daran, Elektras Entzug so genau und einfühlsam wie möglich darzustellen. Dabei stützte ich mich auf die persönlichen Erlebnisse, die einige meiner Leser*innen mit mir geteilt hatten. Ihnen danke ich an dieser Stelle herzlich dafür, dass sie mir ihre Erfahrungen mit der Sucht – ihre eigenen oder auch die von Familienangehörigen – so aufrichtig geschildert haben. Das reale Vorbild der »Ranch« ist eine amerikanische Suchtklinik, die ich »undercover« aufgesucht habe, um ein Gefühl für den Tagesablauf der Patienten zu bekommen. Dort habe ich verstanden, dass es um die Herausbildung neuer positiver Rituale geht und darum, die jeweiligen Ursachen für den Drogenmissbrauch zu ergründen.

6. Stellte die Geschichte von Elektra für Sie eine größere Herausforderung dar als die der Schwestern in den anderen Bänden der Reihe?
Auch in den vorangegangenen Bänden habe ich mich mit »großen« Themen beschäftigt: Über die australischen Aborigines in der Perlenschwester und über Zigeuner in Andalusien in der Mondschwester zu schreiben, öffnete mir die Augen dafür, auf welch furchtbare Weise sie im Lauf der Geschichte verfolgt wurden. In der Sonnenschwester geht es ebenfalls um benachteiligte Menschen wie die Massai, denen ihr Land weggenommen wurde, um Afroamerikaner, die noch immer um Gleichberechtigung kämpfen, und um das Elend junger Drogensüchtiger, die dringend Hilfe benötigen. Natürlich musste ich mich dabei selbst fragen: Steht es mir als weißer irischer Autorin überhaupt zu, über sie zu erzählen? Ja, denn auch meine Vorfahren gehörten noch vor weniger als hundert Jahren der »Unterschicht« an. Ich würde mir wünschen, dass mehr Texte von Autor*innen aus diskriminierten und benachteiligten Gruppen veröffentlicht würden, und hoffe, mit meiner Arbeit auf ihre Probleme aufmerksam gemacht zu haben.

7. In der Sieben-Schwestern-Reihe geht es immer wieder um die Mutterrolle, und auch in der Sonnenschwester begegnen wir mehreren Arten von Müttern. Glauben Sie, es gibt die »perfekte Mutter«?
Meiner Ansicht nach hat die Mutterrolle nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun, und die »perfekte Mutter« gibt es nicht, denn auch Mütter sind nur Menschen, die beim Aufziehen ihrer Kinder Fehler machen. Für mich geht es darum, ein Kind mehr zu lieben als sich selbst und nur das Beste dafür zu wollen. Cecily gehört zu meinen Lieblingsfiguren in diesem Roman, weil sie als Mutter ihren Wunsch entdeckt, die Welt durch Bildung zu verbessern – sie hat jemanden, für den es sich zu kämpfen lohnt. Stella hingegen ist eine ganz andere Art von Mutter. Ihr ist die Karriere zum Teil aus finanzieller Notwendigkeit wichtiger als das Wohlergehen ihrer Tochter. Durch ihren Einsatz für die Bürgerrechtsbewegung hilft sie zwar unzähligen Menschen, doch unglücklicherweise leidet ihre Tochter darunter.

8. Durch Stella erfahren wir viel über die Kämpfe der Afroamerikaner in Zeiten der Bürgerrechtsbewegung. Wie sind Sie an dieses Thema herangegangen?
Ohne eine Geschichtsstunde abhalten zu wollen, war es mir wichtig, dass Elektra – und mit ihr die Leser*innen – erkennt, welche Kämpfe die Generation ihrer Großmutter ausfechten musste, um die Bürgerrechte für die Generation Elektras zu sichern. Wie Elektra in dem Roman sagt, habe sie immer den Eindruck gehabt, dass es im Fach Geschichte nur um Ritter, Burgfräulein und Turniere gehe – ihr sei nie klar gewesen, dass es sich auch um lebende Erinnerung, um Zeitgeschichte handeln kann, die die eigene Familie bis zum heutigen Tag betrifft. Wir können so viel von der älteren Generation lernen; unsere Mütter und Großmütter waren Pionierinnen des Feminismus, sie verschafften uns die relative Freiheit, die wir Frauen heutzutage genießen. Ich kann meine Leser*innen nur ermutigen, ihren Großeltern mehr Fragen über deren Leben zu stellen.

9. In der Sonnenschwester taucht Zed Eszu wieder auf; er hat eine Beziehung mit Elektra. War das von Anfang an so geplant? 
Viele meiner Leser*innen mögen Zed nicht, und mir geht es besonders nach der Mondschwester genauso. Doch mir war von Anfang an klar, dass er in Elektras Leben auftauchen würde, denn er und sein Vater Kreeg Eszu stehen für den griechischen Gott Zeus, der in der Mythologie einigen der Schwestern nachstellte und sogar Vater von etlichen Kindern Elektras war! Je mehr Elektra sich von ihrer Sucht befreit, desto mehr distanziert sie sich von Zed, der ihre schlechtesten Seiten zum Vorschein bringt. Begegnen wir Zed in diesem Band zum letzten Mal? Warten wir’s ab …
 

DieSonnenschwester_Plejaden

10. Überrascht Sie der weltweite Erfolg der Sieben-Schwestern-Reihe?
Natürlich! Als ich meinen Verlegern das erste Mal von meiner Idee erzählte, eine Romanreihe über das Siebengestirn der Plejaden zu verfassen, glaubten sie, ich habe den Verstand verloren. Doch sie besaßen genug Vertrauen, mich den ersten Band schreiben zu lassen, und wie es dann weiterging, ist bekannt. Die Ermutigung und Begeisterung meiner Leser*innen inspirieren mich, und ich bin jedes Mal wieder verblüfft darüber, wie viele Menschen auf der ganzen Welt die Bücher der Reihe lesen und mir schreiben, wie viel sie ihnen bedeuten. Ich kann nur hoffen, dass die Geschichten der d’Aplièse-Schwestern sich in irgendeiner Weise auf unser aller Leben übertragen lassen.

11. Die Sonnenschwester endet mit einem Tusch. Was erwartet die Schwestern in Band Sieben?
Ich freue mich schon seit dem Beginn der Reihe im Jahr 2013 darauf, den letzten Satz der Sonnenschwester zu Papier zu bringen, und so war dies ein großer Augenblick für mich. Mit den Sieben Schwestern habe ich mich auf eine fantastische Reise begeben. Obwohl die Handlung sich in viele, manchmal überraschende Richtungen entwickelt hat, ist der übergreifende Plot der Reihe unverändert geblieben. Hoffentlich sind meine Leser*innen auf die geheimnisvolle, bislang fehlende Schwester in Band Sieben gespannt und wollen mehr herausfinden über #whoispasalt …